Reise durch die Geschichte: Vom Abenteuerkleinbus zum Expeditionsmobil

Diese Rubrik ist einem beinahe lebenslangen Steckenpferd gewid-met: Urlaub in der fahrbaren Woh-nung oder anders ausgedrückt: Im Ausland daheim. Die Ideen, Fan-tasien und Ziele, die hinter diesem Lebensmotto stehen, sollen auf den nachfolgenden Unterseiten nach und nach weiter ausgebaut werden.

 

Dabei soll u.a. auch die Entwicklung im Reisemobilbereich aufgezeigt werden, die es heute ermöglicht, über viele Wochen völlig autark in der Wildnis zu stehen und - wie bisher dem Militär vorbehalten - selbst schlechteste Wetter-, Wege- und Fahrbedingungen zu meistern. Was dazu an Ausrüstung und sonstigem Zubehör etc. notwendig ist, soll auf diesen Seiten ebenfalls zur Sprache kommen und näher analysiert werden.

 

Es ist die Geschichte einer langen Reisemobilreise von den 1970ern bis heute. Eine Geschichte, die sich bisher innerhalb der Grenzen des alten touristischen Europa abspielte, die aber nun die Tore öffnet sowohl in den Südosten (Richtung Kaspische See) als auch den Nordosten (Richtung Ural-Gebirge und Baikalsee). Dabei sollen in den nächsten Jahren die Völker und Kulturen und nicht zuletzt die alten Kulturlandschaften der ehemaligen Ostblockstaaten näher ins Auge genommen und anhand von Texten und Bildern für das interessierte Leserauge lebendig gemacht werden.

 

Zuvor gilt es aber eine grundsätzliche Frage zu klären: Warum teures Geld ausgeben für ein allradfähi-ges Gelände- oder Expeditionsmobil - und es ist teures Geld - nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Unterhalt? Geländegängige Wohn- oder besser Expeditionsmobile haben im Unterschied zu den gängigen Weiß-Mobilen ein (zuschaltbares) Allradgetriebe, sowie ein Untersetzungsgetriebe und die notwendigen Getriebesperren (Zentral- sowie VA und HA-Sperre). Letztere sind deshalb notwendig, um bei nassem Untergrund Antrieb auf jedem einzelnen Rad zu gewährleisten, auch wenn ein oder sogar alle anderen Räder durchdrehen. Dazu kommen bei den gängigen Transporterfahrzeugen (Sprinter & Co.) größere Reifen, was eine Höherlegung des Fahrwerks notwendig macht. Der dazu notwendige techn. Aufwand ist enorm und schlägt – je nach Fahrzeug und Ausstattung – mit 20 bis 50 Tsd. Euro zu Buche. Dafür bekommt man schon beinahe ein neues Weißmobil. Warum also macht man das?

 

Dazu muss man auf die Anfänge des Wohnmobilreisens zurückgreifen. Anfänglich hießen die Fahrzeuge, in denen man "wohnen" konnte, noch nicht "Wohnmobile", sondern hatten keinen eigenen Namen. Es waren zu Reisefahrzeugen umgebaute Kastenwagen, in denen man noch in den 1970er Jahren sich nahezu überall hinstellen und übernachten konnte. Traditionelle Wohnmobilisten, wie wir sie sind, sind aufgewachsen mit dem Gedanken, irgendwo mit einem fahrbaren Untersatz frei in der Natur zu stehen und unabhängig von Wetter und Tourismus die Stille der Natur für sich allein zu haben. Wohnmobilisten dieser alten Art werden heute abfällig als „Wild-Camper“ bezeichnet, obwohl genau dies der eigentliche Sinn und Zweck eines Wohnmobils ist. Denn im Gegensatz zum Caravan, den man von Campingplatz zu Campingplatz schleppt, um dort für teures Geld campieren zu können, waren Wohnmobile von ihrem Ursprung her umgebaute Transporter, mit denen man relativ autark für einige Tage oder sogar Wochen in freier Wildbahn stehen und - abgesehen von den Spritkosten - kostenfrei Urlaub machen konnte. Das ging solange gut, solange die zugelassenen Wohnmobile in Europa noch im Bereich der Tausendermarke lagen. Mittlerweile ist längst eine zweistellige Millionen-marke überschritten, was freies Stehen nahezu verunmöglicht.

 

Dies hat mehrere Gründe. Zum einen naturgemäß die exponentielle Zunahme an Freizeitmobilen, die durch die Corona bedingten Einschränkungen noch überproportional zugenommen haben. Zum anderen aber die technischen Errungenschaften von Navi, Smartphone, Tablets & Co., in und mit denen selbst einsamste Wege ausfindig gemacht und in den sozialen Medien mittels genauen Geodaten verbreitet werden können. Die Gemeinden und Kommunen haben diesen Trend ausgenutzt und zunehmend sog. „Stellplätze“ zur Verfügung gestellt, die mittels zahlloser Stellplatz-Apps (wie park4night) massenhaft Verbreitung finden und an denen sich nun Wohnmobile dicht gedrängt für einige wenige Tage aufhalten und – meist gegen teures Entgelt natürlich – Wasser und Strom tanken können. Strom brauchte man früher nicht und Wasser bekam man an jeder Tankstelle und an jedem Dorfbrunnen kostenfrei. Freicamper wie wir, machen i.d.R. einen weiten Bogen um solche Herden-Sammelplätze, allein schon weil der Unruhefaktor unerträglich ist. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, der mit den Urlaubskosten als solches zu tun hat:

 

Die Kosten eines Wohnmobils haben sich in den letzten 50 Jahren mehr als verzehnfacht. Nicht ganz so stark sind die Preise für Ferienwohnungen als Vergleichswert gestiegen. Die Rechnung ist also folgende: Der Kauf-/Ausbaupreis eines Wohnmobils minus sein Wiederverkaufspreis geteilt durch die Anzahl der Nutzungsjahre ergibt den jährlichen „Urlaubspreis“ eines Wohnmobils im Vergleich zum Urlaubspreis einer Ferienwohnung pro Jahr. Der sog. Break-even-Point ist dann jene Anzahl von nutzbaren Urlaubstagen im Jahr, an der sich der jährliche Urlaubspreis des Wohnmobils und die Kosten einer Ferienwohnung die Waage halten. Je nach Wohnmobil und Preis von Ferienwohnungen dürfte das bei so zwischen 4 und 8 Urlaubswochen der Fall sein. Allerdings nur unter eben der Bedingung, ansonsten keine Kosten zu haben, mit anderen Worten frei campieren zu können. Wo hier Stellplatz- oder gar Campingplatzkosten anfallen, wird dieser Break-even-Point nie erreicht werden. Auch deshalb war es uns wichtig, ein autarkes Fahrzeug zu erhalten, bei dem wir weder von Landstrom noch von Wasser abhängig sind.

 

Damit zurück zur Frage nach dem Umsatteln von Zweirad- zu Allradfahrzeugen. Die schier unüber-schaubare Menge an Freizeitmobilen macht es nahezu unmöglich, überhaupt noch ein freies und stillen Plätzchen zu finden, an dem man ungeniert stehen und sich in der Stille der Natur erholen kann.

Im Grund geht das nur noch mit allradfähigen Fahrzeugen, die an jene selten gewordene Spezies von versteckten Plätzen gelangen, wo sie frei und unbedrängt stehen können. Wir haben dies diesen Sommer (2023) auch im nördlichen Skandinavien festgestellt. Erst wenn wir Plätze anfuhren, die für normale Wohnmobile unzugänglich waren, konnten wir einigermaßen ungeniert stehen und die Landschaft in Ruhe (d.h. ohne Kindergeschrei und schon morgens geschäftige Wohnmobilisten etc.) genießen.

 

Im Zusammenhang mit dem eben beschriebenen Begriff der Geländegängigkeit fällt wie ebenfalls erwähnt häufig auch der Begriff des Expeditionsmobils. Er ist ein bisschen hochtrabend, in den meisten Fällen wohl pure Augenwischerei, denn um Expeditionen im eigentlichen Sinn geht es wohl eher selten. Insofern wäre der Begriff Fernreisemobil mit Geländeeigenschaften der treffendere Aus-druck. In der Anfangszeit der Fernreisemobile (der gute alte VW-Bus o.ä.) war von Geländegängigkeit kaum eine Rede. Die allermeisten Pisten lassen sich auch mit Zweiradantrieb befahren - man muss notfalls halt die Zeit aufbringen und auf gutes Wetter warten. Und aus einem normal nassen Untergrund rauszukommen, reichen meist auch gute, grobstollige MT-Reifen. Echte Geländegängigkeit ist allerdings eine Stufe höher anzusiedeln. Sie meint nicht nur Allradfähigkeit - was z.B. viele Kasten-wagen mittlerweile schon bieten -, sondern ein geländegängiges Fahrwerk (z.B. um größere Reifen mit hohen Federwegen montieren zu können) und ein Untersetzungsgetriebe, das nicht nur für Fahrten in steilem Gelände dient, sondern auch langsames Schritt-Tempo ohne schleifende Kupplung ermöglicht.

 

Ein Expeditionsmobil ist also ein solches echt geländegängiges, fernreisetaugliches und damit autarkes Wohn- oder Geländemobil. Autarkes Stehen an Plätzen fern aller zivilisatorischen Errungenschaften setzt sowohl ausreichend Stauraum für Lebens- und Bergemittel als auch Unabhängigkeit von Strom und (Trink-)Wasser voraus. Zwar lässt sich die notwendige Körper- und notfalls Kleiderwäsche auch an Seen oder Flüssen meist problemlos durchführen, aber Trinkwasser will gebunkert oder über entsprechende Entkeimungsanlagen aus Flüssen oder Seen geschöpft werden. Dies setzt bereits eine entsprechende Größe des mobilen Untersatzes voraus, die über dem liegt, was Landy & Co. bieten können.

 

Dazu kommt, dass im Fall von Fernreisen Geländefähigkeit nicht in erster Linie Sanddünen- oder Kiesgrubenfähigkeit meint, sondern die Möglichkeit, bei jedem Wetter auf allen Arten von unbefestigten Wegen fahren zu können. Schwerpunkt der Bedeutung liegt auf "bei jedem Wetter". Denn bereits einen nassen Wiesen- oder schmierigen Lehmhang hochzufahren ist ohne Allradfähigkeit mit allen Differen-zialsperren im Grunde kaum möglich. Und solche Hänge bzw. Wege gibt es überall, selbst im dicht besiedelten Europa. 

 

Was die Geländegängigkeit einschränkt, aber für Expeditions- oder Fernreisemobile unumgänglich ist, ist das zuladungsbedingte Gewicht. Egal ob Leicht-LKW oder LKW, beide verlieren mit zunehmendem Gewicht dramatisch an Geländegängigkeit - daran ändern auch Allradfähigkeit und Differenzialsperren nichts. Jedes Kilogramm an Mehrgewicht muss mit Einbußen im Bereich der Geländegängigkeit erkauft werden. Hier den rechten Kompromiss zu finden, hängt immer von den individuellen Bedürfnissen der Reisenden ab - will man/frau mehr luxuriöse Unabhängigkeit oder höhere Geländegängigkeit. Da wir in erster Linie ein Fernreisemobil wollten, hat für uns die extreme Geländegängigkeit nachrangigen Charakter. Sanddünenfahren in der Sahara ist nicht unsere Sache ...

 

Dazu freilich sind geländegängige Mobile notwendig. Einen Querschnitt über die Arten von geländegängigen Mobilen zeigt ein bekannter Mitarbeiter und Filmemacher des Allradmagazins "Der Explorer" hier. Auch in diesem Film wird deutlich: Der Begriff "geländegängig" ist ein sehr verwaschener Begriff. Es gibt zahllose Arten von Gelände und ein jedes braucht eine geländespezifische Fahrzeug-spezifikationen. Grundsätzlich gelten dabei folgende miteinander inkompatible Prämissen, die nur ganz individuell in Einklang gebracht werden können:

 

1. Ein Fahrzeug ist umso geländegängiger, je leichter es ist.

2. Je länger die Reise, desto größer sollte das Reisemobil sein.

 

Dabei wird die Schwere eines Expeditionsmobils im Vergleich zu leichteren Varianten auch nur sehr begrenzt durch die Leistungsfähigkeit seines Motors ausgeglichen. Das liegt daran, dass die reine Motorenleistung erst über die Traktion der Räder aufs Gelände übertragen wird. Ist diese Traktion geländebedingt eher schlecht (z.B. aufgrund eines rutschigen Untergrunds), dann hilft weder eine überdimensionierte Motorenleistung noch eine extrem untersetztes Getriebe samt allen möglichen Sperren sonderlich viel. Sehr wohl aber die geringer notwendige Vortriebsleistung eines leichteren Fahrzeugs. Daraus folgt: Das "richtige" oder "beste" Reise- bzw. Expeditionsmobil gibt es nicht. Es ist immer ein individueller Kompromiss zwischen Wohnlichkeit und Zuladungsfähigkeit einerseits und spezifischen Anforderungen an den Oberbegriff Geländegängigkeit andererseits.

 

Etwas entschärft wird die genannte Inkompatibilität allerdings dadurch, dass selbst lange Weltreisen sich i.d.R. immer auf Straßen bzw. Stein-, Geröll- oder Sandpisten abspielen werden. Eher selten sind andere, schwierigere Geländearten, in denen steile Bergpässe, tiefe Furten oder schlammige Waldwege eine Rolle spielen. Nur für letztere gelten im Prinzip die hier beschriebenen Anforderungen an eine Geländegängigkeit, die mehr erfordert als nur die Fähigkeit, aus nassem Gras oder kleinen Sand-löchern  rauszukommen.

 

Eine andere Perspektive ist jene des individuellen Anspruchs, der nicht zuletzt auch den Status- und Spaßfaktor beinhaltet. Hier hat sich die Szene in den letzten Jahren ein wenig gewandelt, da es nicht mehr nur um Fernreisen ging, sondern um den Kick eines Abenteuers und die Wollust, auch noch in den letzten Winkel dieser Erde zu kommen. Egal ob nordische Sümpfe oder südliche Wüsten, das Abendteuer dahin und in Extremlandschaften durchzukommen, wurde zunehmend das Ziel einer gelangweilten Geldelite. Dazu war dann in der Tat nicht nur eine möglichst umfangreiche Gelände-technik notwendig, mit Achs- und zentralen Getriebesperren, Untersetzungsgetriebe und zunehmend größere Reifen, sondern auch entsprechend große Wohnkabinen. Dadurch erreicht solch ein Gelände-LKW nicht selten Ausmaße und Gewichte, die an große Busse oder schwere militärische Truppen-transporter erinnern. Diese Art der mehr statusorientierten Fortbewegung hat aber im Grunde mit dem Begriff des ursprünglichen Fernreisemobils eher weniger zu tun. Es ist vielmehr eine Art moder-nes Freizeitvergnügen für abenteuerlich eingestellte Zeitgenossen: Nice to have, but costs a hell of a lot of money.