Morbus Interventionismus
Die frühere Bischöfin und Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Margot Käßmann hat auf dem evangelischen Kirchentag erneut das deutsche militärische Engagement in Afghanistan kritisiert. «Es gibt keinen gerechten Krieg. Es gibt nur einen gerechten Frieden. Und dieser erfordert Kreativität, Zeit, Engagement und Geld!« - Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Gebetsanliegen vielleicht gut gemeint, aber ungefähr so gerechtfertigt und wirkungsvoll wie jene eines Alkoholikers, der vor jeder weiteren Flasche Gott um Schutz, Gesundheit und gutes Verkraften bittet.
So recht sie in der Grundsätzlichkeit ihrer Kritik hat, so gefährlich sind die Konsequenzen dieser Aussage für die politische Lügenklaviatur: Es gibt nicht nur keinen gerechten Krieg, es gibt auch keinen ‚gerechten‘ Frieden. Denn gäbe es ihn, müsste es zwangsläufig auch einen ungerechten Frieden geben. So wenig wir weltweit in einer finanziellen oder wirtschaftlichen Krise stecken, sondern uns vielmehr in einer wirtschaftspolitischen Ausbeutungsdiktatur befinden, so wenig kämpfen wir in Afghanistan oder sonstwo für Gerechtigkeit oder gar Frieden.
Nichts trifft diese gewollte politische Wahrheitsverdrehung und damit letztlich Wähler-verarschung besser als der alte Studentenspruch »Fighting for peace is like fucking for verginity«. Auf gut Deutsch: Wer meint, Frieden über die althergebrachten Ordnungsvorstellungen einer imperialistischen Kanonenbootpolitik erzwingen zu wollen, könnte genauso gut darauf pochen, die weibliche Bevölke-rung bumsen zu müssen, in der Hoffnung, dadurch ihre Jungfräulichkeit zu sichern. Das ist leider immer noch das Niveau jener arroganten Machtelite des 19. Jahrhunderts, die meinte, über das Duellieren ließen sich Unstimmigkeiten am besten regeln.
Zugegeben, es erscheint vordergründig menschlich und wichtig, verfeindete Parteien zu befrieden und vor allem die Unschuldigen zu schützen. Andererseits stellt sich nach Jahrzehnten selbsternannter Weltpolizei schon die Frage, was die Amerikaner oder die UNO-Blauhelme mit ihrer Interventions-strategie wirklich erreicht haben? Weder konnten sie in ihrer waffenstarrenden Präsenz wirklich für Frieden sorgen noch die Zivilisten schützen. Der Grund: Wo Ungerechtigkeit und Misstrauen gesät wurden, lässt sich der Sturm in der Ernte am wenigsten von denen aufhalten, die direkt oder indirekt mit dieser Aussaat in Verbindung gebracht werden. Das Gerücht imperialistischer Interessen wird dabei so lange nicht verstummen, solange bei denen, die Frieden mit Waffen stiften wollen, ein Wirtschaftssystem herrscht, das die Menschenrechte mit Füßen tritt und jeder sozialen Gerechtigkeit Hohn spricht.
So schicken wir, anstatt für christliche Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und politische Transparenz in der globalen Verwaltung und Zuteilung unserer irdischen Ressourcen und technischen Errungenschaften (von der Gesundheitsvorsorge bis zur Energieversorgung usw.) zu sorgen, immer noch bezahlte Killerkommandos* in alle Welt unter dem Vorwand, nur so ließe sich der internationale Terrorismus bekämpfen und den einheimischen Völkern zu mehr Gerechtigkeit verhelfen. Dabei weiß jeder geschichtlich beschlagene und kritisch denkende Mensch, dass der eigentliche Grund immer nur jener der neo-imperialistischen Militärstrategien zur Absicherung und Durchsetzung kapitalistischer Expansion und globaler Ungleichheit ist.
Genau daraus, wie aus vielen, vielen anderen imperialistischen Machtstrukturen und Interes-senskämpfen, geht mit überwältigender Eindeutigkeit hervor, dass militärischer Interventionismus wie zu
allen Zeiten in der Welt- und Menschheitsgeschichte nur augenwischerisches Balzgehabe jener ist, die von der eigentlichen Ungerechtigkeit und himmelschreienden Unmenschlichkeit der eigenen
Ausbeutungsinteressen ablenken müssen, um so den Ausbau ihrer eigenen Pfründe in Sicherheit bringen zu können.
Ablenken nicht zuletzt von völlig zerstörerischen Exportüberschüssen der industrialisierten Länder, deren scheinheilige Grundlage der eigenen Arbeitsplatz- und Stand-ortsicherung nur den egoistischen Wettbewerbsvorteil zu erkaufen sucht, um eine noch größere Ausbeutung rechtfertigen zu können. Dabei geht es ausschließlich um die Interessen einer hoch- gezüchteten, hab- und machtgierigen Profitelite und der Absicherung und Ausweitung der damit verbunden Interessenssphären.
Diese Denkstrukturen eines kapitalistisch bewusst gezüchteten Ego-Imperialismus wurden und werden ganz gezielt verbreitet in einer kapitalwirtschaftlichen Interessenlandschaft, in der Wachstum und Wettbewerb zum Gott erhoben wurden. Dabei sind beide nur Katalysatoren für die evolutions-bedingten Triebhaftigkeiten und primitiven Instinkte des Menschen, die der mit Jesus eingeläuteten Frohbotschaft des Evangeliums, welche das Reich Gottes für alle aufrichtig nach Wahrheit und Gerechtigkeit Suchenden in Aussicht gestellt hatte, diametral entgegenstehen.
Entgegenstehen aber auch allen freiheitlichen Selbstbestimmungsrechten der Völker und Menschen, die auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit unterdrückt, gedemütigt, entmündigt und verkauft
wurden für das Linsengericht eines götzenhaften Mammons genannt Wachstum und Fortschritt, der seltsamerweise immer nur jenen beschert zu sein scheint, die ohnehin bereits im Überfluss der Rosinen
aus dem Kuchen der globalen Ressourcen leben. Anstatt unseren schöpfungsbezogenen Auftrag zu erfüllen und die Erde und ihre Güter gerecht zu verwalten, haben wir eine
Ressourcenausbeutungsmentalität entwickelt, welche die geistige Krone der Schöpfung zu Objekten ihrer eigenen Gier werden ließ. Nichts hat dabei den Menschen weiter entfernt von seinem Schöpfer
als der wahnwitzige Anspruch, selber Gott über eine Schöpfung sein zu wollen, die uns doch nur treuhänderisch zur Verfügung gestellt wurde.
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*Der Begriff ‚Killerkommando‘ bezieht sich nicht spezifisch auf den deutschen Teil der Besatzungstruppen, gleichwohl will er aber auch auf sie bezogen zum Ausdruck bringen, dass jede bewaffnete Intervention immer schon den Keim des Tötens in sich trägt, der zwar im Sinne der Selbst- oder Fremdverteidigung gerechtfertigt sein mag, im Sinne der kapitalistisch mitverursachten Ausgangslage allerdings mehr Fragen aufwirft, als eine bewaffnete Schutzarmee - die ohnehin völlig wirkungslos ist - zu beantworten vermag.