Seit fast 50 Jahren - mit Unterbrechungen - fahre ich Wohnmobile. Die letzten 35 Jahre zusammen mit meiner lieben Frau. In dieser Zeit hat sich viel geändert. Diese Entwicklungen mit wenigen Pinsel-strichen nachzuziehen, ist Absicht dieser Rubrik "Reisemobilphilosophien". Aus den Anfängen von ausgebauten Kombis und Lieferwagen hat sich ein High-Tech-Markt entwickelt, der weder mit den anfänglichen Intentionen noch mit der Natur des Wohnmobilreisens noch viel gemein hat.
Wer denkt nicht nostalgisch zurück an die alten Veteranen: Der Ur-VW-Bus (1950-T1-Version mit geteilter Frontscheibe) oder der DKW- und der Loyd-Transporter, die Transporter von Opel (Blitz), Ford-(FK 1000 und 1250, woraus später der Transit entstand) oder Glas, der Matador und der Viking und später der Rapid der Firma Tempo und ihre Vettern, der Hanomag und sein Daimler-Pendant von Mercedes, der Bremer Goliath Express, der Bulli aus der Borgward-Familie und schließlich der Mercedes L319 - sie alle wurden in der einen oder anderen Variante und Form als Basisfahrzeug für Urwohnmobile aus- bzw. umgebaut. Man nannte sie damals nur noch nicht so. Aber sie hatten einen äußerst passenden Vorteil gegenüber ihren gleich gewaschenen heutigen Nachfolgern von Sprinter & Co: Sie alle hatten einen großartigen individuellen Charakter, der zum Abbild des jeweiligen Ausbauers bzw. seines Besitzers wurde ...
Die meisten dieser Fahrzeuge hatten einen ca. 2,5m x 1,5m Kasten unterschiedlicher Höhe, der dann mittels verschiedener Dacherhöhungen zu einer kleinen Schlaf- und Kochkajüte umgebaut werden konnte. Volle Stehhöhe war anfangs nur selten vorhanden. Man musste die zwei Schritte hin und her gebückt tun, was aber kein Problem war: Die meisten dieser abenteuerlustigen Wohnmobilisten waren Studenten oder Aussteiger. Für diese Leute waren solche Fahrzeuge Mittel zum Zweck, um der etablierten gesellschaftlichen Urlaubsnorm (Hotel oder Frühstückspension) zu entkommen. Dabei spielte auch die Motorisierung - genauer die Untermotorisierung - keine Rolle. Zwei-Tonnen-Gefährte wurden mit Motorleistungen zwischen 20 und 45 PS durch die Lande gezogen - an steileren Berg-hängen meist im 2. oder gar im 1. Gang. All das machte damals nichts, denn der Verkehr war noch in seinem Dornröschenschlaf und Zeit war das, wovon diese Leute am meisten hatten. Wozu also durchzugstarke Motoren für Geschwindigkeiten über 100km/h - noch dazu, wo das Kopfsteinpflaster der Straßen dies meist gar nicht erlaubte ...
Erst als der Verkehr immer mehr zunahm und die Industrie langsam erkannte, womit sie den gesellschaftlichen Urlaubsaussteiger abzocken konnte, wurde die alten Aussteigergefährte zu klein und zu schwach. Mit dem VW-T2 (und natürlich dem MB L319) war Ende der 1960er Jahre eine neue Transportergeneration geboren, deren stärkere Motoren auch für schwerere Wohnausbauten mit einem Fahrzeuggewicht über 2 Tonnen ein einigermaßen flüssiges Fahren zuließ. Nun begann man zunehmend, standardisierte Möbel aus dem Wohnwagenbereich einzubauen - die ursprünglichen Individualausbauer nach dem Do-it-yourself-Prinzip teilten sich mit kleinen Ausbaufirmen den noch schlummernden Markt.
Mit dem VW-T3 wurde Ende der 1970er Jahre erstmals ein deutlich größeres Raumkonzept vorgestellt, das durch Dacherhöhungen und später Dachaufsätze nun auch Ausbauten in Stehhöhe ermöglichte. Auch die Motorleistung wurde sukzessive dem größeren Gesamtgewicht von 2,8 Tonnen angepasst. Aber nun begann sich eine neue Idee breit zu machen. Aus dem Caravanbau übernahm man zunehmend die Kunststoffkonstruktionen auch für den Wohnmobilbau - eine neue Art des Wohn-mobils, das nun erstmals diesen Namen annahm, war geboren: der Quarkbecher (wegen seiner weißen Kastenform). Von nun an ging der Markt zweigleisige Wege. Zum einen die alten Kasten-ausbauten, die sich immer stärker motorisierten, und zum anderen die neuen GFK-Mobile, die ein ganz neues Raumkonzept mit Innenmaßen von bis zu 5 x 2,3 x 2 Metern verwirklichten - und durch diese rasante Größen- und Gewichtszunahme anfänglich stark untermotorisiert blieben.
Nun begann sich der Reisemobilmarkt zu differenzieren. Neben den Kastenausbauten, die nun als Kurzreise- oder Freizeitmobil firmierten (engl. "autosleeper"), entwickelten sich die GFK-Ausbauten als die 'echten' Wohnmobile, die sich diesen Namen nun auch wirklich verdienten. Geradwandige Innen-räume wie aus dem Wohnwagenbereich sorgten nun zusammen mit zunehmend mehr Bequem-lichkeiten - wie Warmwasserboiler oder Unterflurheizungen und große Kühlschränke - für ein angeneh-mes Leben, egal ob in freier Natur oder auf dem Campingplatz. Und die Ausbauten werden verhält-nismäßig billiger, weil ein rechtwinkliger Ausbau naturgemäß wesentlich schneller und einfacher umzusetzen ist, als die Rundungen und Schrägen der üblichen Kastenausbauten. Die neue Motoren der Sprintergeneration sorgten ihrerseits dafür, dass den Außen- und Gewichtsmaßen kaum Grenzen gesetzt waren.
Wer es noch größer wollte, konnte nun auch zunehmend im LKW-Bereich fündig werden. Versuchten die Kastenausbauten möglichst lange unter der 3,5-Tonnen-Marke zu bleiben, wodurch sie den meisten Verkehrsbeschränkungen aus dem Wege gingen, stieß der Wohnmobilmarkt in immer größere Dimensionen vor und durchbrach irgendwann sogar die 7,5 Tonnen-Grenze. Damit einher ging eine erneute Diversifikation. Hatte das Lager der Kastenausbauer ursprünglich noch die echten Abenteurer bedient, denen mit ihren Abenteuermobilen die freie Natur offenstand, hatte der Boom auf dem Wohnmobilmarkt dafür gesorgt, dass das echte Abenteuer immer weiter in die nord- und schließlich die außereuropäische Wildnis verdrängt wurde. Dafür aber sind die Kastenausbauten sowohl von ihrer geringen Zuladekapazität als auch von ihrem Fahrwerk nicht wirklich geeignet. Der Begriff 'Abenteuer' hatte sich gewandelt. Die neuen 'Abenteurer' waren jene, die mit schicken Schlafmobilen am Wochen-ende in die nahegelegenen Grenzlande (Südtirol, Gardasee, Kärnten-Steiermark, Elsaß-Lothringen, Benelux-Länder usw.) fahren und dort ohne Zimmer buchen zu müssen ihre Jet-Set-Wochenenden verbringen konnten.
So diversifizierte sich der Markt erneut. Zum einen eröffnete sich mit den windschnittigen Ausbaus der Van-Klasse für den Wohnmobilmarkt eine ganz neue Kundenschicht - diejenige des Jetset, der, wie erwähnt, mit seinem Wohn-Van mal schnell am Wochenende von München an den Gardasee düst, um dort jene Andersartigkeit zu genießen, die ihm sein Job hier vorenthält. Naturgemäß braucht diese neuen Generation der 'Abenteuermobile' noch weniger eine Küche als jene der Aussteigermobile der 1950er und 1960er Jahre. Ein Bett, eine Espressomaschine - und sei es auch nur zu Angabezwecken ...- und eine kleine Kühlbox genügen. Gleichzeitig bietet ein kleiner Tisch und zahllose WiFi-Techniken die Möglichkeit, mit den E-Welt in Kontakt zu treten. Ich nenne diese Mobile deshalb Jetset-Mobile - es geht nicht um das klassische Abenteuer in der menschenfernen Wildnis und auch nicht um den Wohnluxus der großen Wohnboliden, sondern um den Mix aus einerseits Schnelllebigkeit und Verfügbarkeit und andererseits Schickeria- und Promenadenflair, der die ganze Jetset-Branche auszeichnet.
Demgegenüber entwickelten sich aus den einstigen Abenteuermobilen für die Einsamkeit menschen-leerer Gegenden nun die sog. Expeditionsmobile, Reisemobile mit Allradantrieb, Differenzialsperren und großer Bodenfreiheit, die sich einerseits aus dem Lager der echten Expeditionsbranche bediente (Unimog), zunehmend aber auch umgebaute Straßenfahrzeuge benutzte (Iveco, Sprinter, usw.). Mit ihr ist eine neue Reisemobilgeneration auf dem Markt erschienen, die wie einst die Urgeneration den Zeitgeist nutzt, um sich vom Gros der Urlauber abzusetzen und erneut ihre eigenen Wege zu gehen - der Kreis schließt sich wieder zum Urmobil, das nun freilich die ersehnte Freiheit kaum mehr innerhalb des touristischen Europas findet, das mit seinen Ein- und Beschränkungen bestenfalls noch außerhalb der Urlaubssaison befahrbar ist.