Sprache lebt nicht, sie wird gelebt ...
Egal, ob Denglish (mir gefiele EngDeutsch aufgrund der Offensichtlichkeit seines Wortspiels besser) oder anderweitig falscher bzw. gedankenloser Sprachgebrauch, die Gründe für den anhaltenden Niedergang der Sprachen im Allgemeinen und der deutschen Sprache im Besonderen liegen in einer sprachsystemischen Eigenheit, nämlich dass Sprache von den falschen Leuten beeinflusst wird. Dem gälte es entgegenzuwirken, aber dies findet nicht oder nicht mit der notwendigen Autorität statt. Der erste Denkfehler, der dabei gemacht wird, ist die Vorstellung, dass Sprache lebt, womit – bewusst oder unbewusst – zum Ausdruck gebracht wird, dass Sprache ein Eigenleben führt und sich aus sich heraus weiterentwickelt. Dem ist nicht so. Sprache lebt nicht. Sie lebt so wenig wie sie geboren oder gezeugt wurde. Bestenfalls ließe sich sagen, dass sie gelebt wird und dies in fluktuativen Auf- und Abbe-wegungen, je nachdem, ob die sie lebenden und insofern sie auch prägenden Menschen eine hohe oder eine niedere Sprachkompetenz haben. Leider hat in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. eine Abwärtsbewegung dieser Kompetenz eingesetzt (näheres siehe z.B. in meinem Artikel 'Sprach-defizite...' hier), die bis heute andauert, weswegen Sprache heute mehr 'verhunzt' denn weiter entwickelt wird – nämlich von Leuten, die nichts mit ihr am Hut haben. Das ist der Grund, warum sie in Aufbau und Struktur häufig unlogisch ist und diese fehlende Logik durch das Bauchgefühl ersetzt. Man stelle sich vor, die Mathematik würde von Nichtmathematikern betrieben oder die Musik von Taub-stummen.
Das kurz skizzierte Phänomen wird durch die Hyperventilation einer globalisierten und einseitig frisierten Medienwelt ebenso wie durch die globalisierungsbedingte Verkehrssprache Englisch erst richtig angeheizt. Mittlerweile hat sich das Virus unsinnig verwendeter Anglizismen bis in höchste Berufsfelder verbreitet. Gegeben hat es diese Eigenheit schon immer und immer schon hat es sprachwillige und sprachkundige Geister zur entsprechenden Kritik veranlasst. Allein Kritik, und sei sie noch so profund und noch so beißend, ändert an der Gemengelage nichts. In einer Zeit, in der sprachliche Grenzziehung nicht zuletzt aus Gründen eines immer noch wirksamen Geschichtstraumas verpönt ist und jede sich autoritär anfühlende Sprachregelung reflexartig den Ruf nach Zensur oder bestenfalls die Kritik von Deutschtümelei entlockt, haben wir uns selber aller Waffen beraubt. Waffen, die unser Nachbar im Westen ohne mediales oder gar völkisches Gezeter gegen die Übermacht der transatlantischen Sprachdiktatur zum Einsatz bringt. Dort heißt E-Mail umgangssprachlich „mél“ und behördensprachlich „courrier électronique“, was in manchen Kreisen zu „courriel“ (Zusammenziehung von COURRIer ELectronique) abgekürzt wurde. Der bei uns über alles geliebte Amerikanismus - sprachwis-senschaftlich genauer handelt es sich um ein Virus, welches papageienhaftes Nachplappern in der Übernahme fremdländischen Wortschatzes aus dem Amerikanischen schick findet - wird dort besten-falls von jenen gesprochen, die noch zu unreif sind für das, was Kultur und seine Trägerschaft - die Sprache - ausmacht.
Nun ist mir durchaus bewusst, dass E-Post vielleicht nicht die beste aller Alternativen wäre, weil das deutsche Wort Post eine größere Sprachfamilie abbildet als das englisch Mail. Und E-Brief hat den Nachteil, dass eine Mail in aller Regel gerade kein Brief ist, nicht nur, weil sie anderen Normen unterliegt (was vor allem in der Handelskorrespondenz zu vielfältigen Diskussionen geführt hat). Mein persönlicher Favorit, die E-Nachricht, hätte im Vergleich dazu den Vorteil, dass sie dem Zweck des Mailaustausches – Austausch von kurzen Infos etc. im Vergleich zu eher literarisch geschmückten Briefen – am nächsten kommt, allerdings nicht alle Funktionen der Mail abdeckt.
Gleichwohl sind diese Einwände, so gut und so richtig sie rein sprachtheoretisch sein mögen, doch von untergeordneter Natur, wenn es um die Sache selber geht – nämlich die Deutsche Sprache. Dies Frage, die sich auf dieser übergeordneten Ebene stellt, ist doch eher die: Ist eines der wertvollsten Kulturgüter – und damit nicht zuletzt unverwechselbares Identitätsmerkmal –, das wir besitzen, nicht schützens-würdig genug, um es vor den Anläufen deren zu bewahren, von denen Sprache völlig unzureichend gelebt wird und die ihren kulturellen Beitrag weder schätzen noch einzuschätzen gelernt haben? Wird so das Erbe von Goethe, Schiller & Co. nicht den biblischen Säuen zum Fraß vorgeworfen?
Dabei war die sprachbildende Rollenverteilung von Alters her eigentlich immer vorgegeben. Die Hoch-sprache ist die Sprache der Gebildeten. Das Volk spricht wie ihm der Schnabel gewachsen ist, also in seiner regionalen oder sozialen Mundart (Regiolekt bzw. Soziolekt). Beide zusammen ergänzen sich und sind auf ihrer jeweiligen Ebene und in ihrer jeweiligen Funktion wechselseitig befruchtend und schon deswegen unverzichtbar. Warum sollte nun plötzlich ein „Regiolekt“, der noch nicht einmal einer deutschen Landschaft, geschweige denn ihrer literarischen Hochkultur entspringt, maßgebend werden für den Wortbestand einer Sprache, gegenüber deren philologischem Potenzial und literarischer Schönheit das aufoktroyierte transatlantische Neusprech oftmals kaum mehr als seelen- und kultur-loses Esperanto ist?
Wie ernst die sprachliche und mit ihr die kulturelle Vergewaltigung durch die anglo-amerikanische Sprachdiktatur bei unseren Nachbarn gesehen wird, zeigt folgender Kommentar im Online-Wörterbuch oder besser Netzwerk-Wörterbuch „leo.org“:
"Bleiben wir so nahe wie möglich an unserer Sprache. Wo uns dies nicht gelingt, werden unsere Kinder sich nurmehr eines Nutzjargons bedienen, der noch dazu immer armseliger wird. Zum Beispiel: Aus Sauerkraut wurde in guter frz. Manier choucroute, wie auch bei Kabeljau, das zu cabillaud assimiliert wurde. Walkman ist im Französischen der lustige Name für einen tragbares Musikgerät. Akzeptieren wir ein Fremdwort nur, wenn es wirklich kein passendes Gegenstück in unserer Sprache gibt – und nicht einfach aus purer Bequemlichkeit (oder Denkfaulheit, d.A.)! Deutsch ebenso wie Französisch sind sehr reiche Sprachen. Weshalb also sollten wir diesen Reichtum verkümmern lassen, indem wir uns kulturell unterwerfen?"
Ich gehe sogar noch weiter: Fremdwörter sind - ausgenommen in Fachsprachen - nur dann zu tolerie-ren, wenn sie der eigenen (in diesem Fall der deutschen) Sprache eine zusätzliche sprachliche Schärfung oder anderweitige Verdeutlichung hinzufügen und so zum Reichtum der Sprache beitragen. Ansonsten ist es nicht verboten, aus dem riesigen Schatz der Neuschöpfungsmöglichkeit, den jede höhere Sprachkultur zur Verfügung stellt, zu schöpfen und den fremdwörtlichen Bedeutungsinhalt mittels gelungener Neuschöpfung in die eigene Sprache zu intergrieren.
Wenn man von reinen Modebegriffen absieht, hat eine solche Sprachübertragung seit Jahrhunderten stattgefunden und es stellt sich die Frage, warum sie gerade vor dem heutigen Bildungshintergrund nicht gelingen sollte. Wenn wir nur das Smartphone als Beispiel nehmen. Dafür gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, diesen englischen Begriff in gutes und griffiges Deutsch zu bringen. Eine direkte Übersetzung mit Schlaufon etwa, oder allgemeiner Web- oder Netzfon. Man könnte auch die wunderbare Wortschöpfung des "Handy" einbinden, z.B. als Web- oder Internethandy. Auch akrony-mische Abkürzungen würden sich anbieten, etwa MIF für "Mobiles Internet-Fon".
Solche Neuschöpfungen beleben die Sprache nicht nur, sie fördern - wie schon weiland Luthers Bibelübersetzung verdeutlichte - ihre Vielfalt ebenso wie ihre geistige Durchdringungsfähigkeit, Reich-weite, Brillanz und Klarheit. Und dies trotz der Tatsache, dass manche Anglizismen im ersten Moment griffiger erscheinen, was aber meist nur deswegen so ist, weil die sprachliche Simplifizierung mittler-weile zum Verständigungsmotto des Volkes gekürt wurde und somit den Hauch von Aufrichtigkeit eingeimpft bekommen hat.
Anders sieht es aus bei Anglizismen, für die es ein ebenso gutes oder besseres deutsches Wort gibt, z.B., weil das Deutsche das Bedeutungsfeld schärfer trennt. Dem englischen 'event' entsprechen im Deutschen eine ganze Reihe von Begriffen. Die gängigsten wären Veranstaltung, wenn es um die Funktion von organisierter Zusammenkunft geht, und Ereignis, wenn es um die damit verbundenen Gefühlskomponenten und deren narrativer Beschreibung geht. In letzterer Bedeutung besitzt das Deutsche zahlreiche Synonyme, wie Angelegenheit, Begebenheit, Geschehen, Vorkommen, Zwischen-fall usw. Je nach Situation wird man das eine oder andere dieser Synonyme für treffender finden. Diese Möglichkeit geht beim stumpfen Nachplappern des englischen 'event' vollkommen verloren.
Ähnlich sieht es aus beim inflationären Gebrauch des englischen 'equipment'. Auch hier haben wir eine deutsche Aufteilung in Ausrüstung (für Personen) und Ausstattung oder Einrichtung (für Räumlichkei-ten oder Gerätschaften). Auch hier unterscheidet das Deutsche viel differenzierter und damit genauer als das Englische. Warum trotzdem der englische Begriff nahezu ausnahmslos verwendet wird, hat nichts mit Sprache und Bedeutung zu tun, sondern mit Kulturpropaganda und ihren oktroyierenden Werbemechanismen (siehe oben auf der Unterseite "Sprachkritik").
(Mehr dazu in meinem zukünftigen Buch "Die deutsche Sprachleere - Leergut ohne Pfand")